(1) Erst besinnt’s …

Sie geben sich so viel Mühe mit ihrem neu eröffneten Frisiersalon. ›Hannahs Haaradies‹, die Inhaberin und ihre aufmerksame und engagierte Helferin Frau Pietsch. Alles wär‘ dacor , wenn da nicht der tägliche Ärger wäre. Jeden Morgen liegt ein ekeliger dicker stinkender Hundehaufen direkt im Eingang des Frisiersalons. Schon mehrfach musste sich Hannah fast übergeben. Urheber: ›Enno‹ von der Gaststätte um die Ecke. Der Hund groß, schwer, unverschämt wie sein Herrchen und genau so beratungsresistent. Frau Pietsch leidet mit Hannah und fürchtet um ihren gerade erst gewonnenen Arbeitsplatz. Hannah hat bereits eine Anzeige unter ›Geschäftsübernahmen‹ in einer Fachzeitschrift geschaltet.
Doch Frau Pietsch wird nicht so leicht aufgeben, so eine ist sie nicht. Sie wird dafür sorgen, dass Hannah wieder gern zur Arbeit kommt, und sich selbst ihre private Rentenaufstockung sichert.

Frau Pietsch entwickelt eine Strategie, wie damals in der Metzgerei Pietsch, als ihr Gott-habe-ihn-selig noch lebte. Eigentlich ist ›Enno‹ die Ruhe selber, nur eins  lässt ihn unkontrollierbar aus der Haut fahren: dieser kleine, respektlose, aggressive Yorkshire-Terrier von Frau Walter. Sie muss die beiden trennen, Herrn und Hund, und ›Enno‹ zu einer spontanen Aktion verleiten.
Frau Pietsch entwirft Pläne, fertigt im Kopf Skizzen und Zeitpläne, ohne sich im Frisiersalon etwas anmerken zu lassen. Auch die Planungen der Sonderangebote und Jubiläumswochen gingen über sie, ihr Gott-habe-ihn-selig konnte nur schlachten, hacken, wursten und den Kundinnen Kalbsaugen machen.

© PLü

Endlich steht Frau Pietschs Schlachtplan. Jetzt heißt es nur noch abzuwarten, bis Ihre Nachbarin Frau Walter um ein Hunde-Sitting für ihren Yorkshire-Terrier-Hündin ›Milli‹ nachfragt. Schon drei Tage später ruft Frau Walter an und bringt ihre ›Milli‹ am Montagabend vorbei. In der Nacht kläfft ›Milli‹ als wandelnde Alarmanlage Haus und Nachbarschaft zusammen, doch da muss man durch, wenn es um höhere Ziele geht.
Am nächsten Morgen, fast pünktlich um halb sieben, biegt das riesige Müllauto in die Südstraße ein. Frau Pietsch vergewissert sich, dass die ideale Ausgangslage eingetreten ist. Der cholerische Gaststättenbesitzer steht mit seinem ›Enno‹ an lockerer Leine im Hof seiner Gaststätte, um die Müllabfuhr bei ihrer Arbeit zu überwachen. Das Ekel!
Frau Pietsch darf nicht in sein Blickfeld geraten, sonst ist ihr schöner Plan verloren. Sie winkt dem Fahrer des Müllautos einen ›Guten Morgen‹ zu, nimmt einen Stoffhund, Frau Walters Yorkshire-Terrier nicht unähnlich, aus ihrer Tasche, versteckt ihn hinter ihrem Rücken und beruhigt die verunsicherte ›Milli‹ mit Worten und Streicheln auf ihrem Arm.

Der Fahrer legt den Rückwärtsgang des Müllautos ein, das beängstigend große Auto setzt unter nervigen Pieptönen rückwärts in die Hofeinfahrt der Gaststätte; die schwere Stahlschiene auf dem Wagen verdichtet die Ladung und schafft Platz für neuen Müll. Vor Sekunden hat die Schiene in seiner ausholenden Bewegung angehalten, setzt sich gerade wieder in schiebender Richtung in Bewegung. Da wirft Frau Pietsch den Stoffhund in hohem Bogen auf die Ladefläche des Müllautos, zwickt ›Milli‹ gleichzeitig ins Fell, die bellt empört in den höchsten Tönen und in vollster Laufstärke.
Augenblicklich fährt ›Enno‹ eine unbändige Wut in die Glieder, er reißt sich los, zwei, drei Sprünge und dann hinauf auf die Ladefläche des Müllwagens dem vermeintlichen Hassobjekt hinterher.
Der Hundehalter brüllt Kommandos, ›Enno‹ lässt sich nicht zurückhalten, bellt seine ganze Wut in höchster Kopfstimme heraus, dann eine kurze Stille, ein unheimliches, jammervolles Aufjaulen und Ruhe stellt sich ein.
Frau Pietsch verkrümelt sich um die Häuserecke, stellt ›Milli‹ auf die grauen Gehwegplatten, streicht ihr kurz lobend übers Fell und setzt mit schlechtem Gewissen, aber guter Laune, die morgendliche Gassi-Runde fort.

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