Wie wertvoll ist (m)eine Biographie?
Macht es Sinn, den vielen Autobiographien eine weitere hinzuzufügen? Wer soll meine Biografie überhaupt lesen? Lohnt der Aufwand an Zeit und Kraft?
Die meisten Autobiographien berichten von Hüllen und Schalen einer Persönlichkeit. Das normale Leben als Perle in einer endlosen Kette der Generationen bleibt ausgespart, die alltäglichen Ereignisse ungesagt, eine Persönlichkeit entsteht ohne Bezug zu Zeit, Umfeld und Normalität.
Wer seine Biografie „zu Papier“ bringt, hat meist das Ziel, sie auch für andere zugänglich zu machen. Doch wer interessiert sich schon für ein „normales“ Leben? Etwas Außergewöhnliches muss aufgezeigt werden, ein sensationeller Lebensverlauf, ein Ereignis der Zeitgeschichte. Die Ausrutscher werden weggelassen, die eigenen Leistungen überhöht – oder umgekehrt, je nach Ausrichtung auf die Zielgruppe.
Im privaten Internet gelten keine Absatzzahlen. Nur der eigene Anspruch an Aufrichtigkeit und Authentizität zählt. Nichts beschränkt mehr die Darstellung des eigenen Fühlens und Erlebens. Jeder entscheidet über Inhalt und Verbreitung seiner Biografie, stellt sich mit seinen Aufzeichnungen der ganzen Welt oder einem ausgewählten Leserkreis.
So entsteht die eigene Biografie nicht als Aufrichtung eines Denkmals für eigene Ruhmestaten, sondern als fortwährendes Gespräch, als Auflehnung gegen das Verstummen: Ich habe etwas zu sagen, zu erzählen, festzuhalten. Mein Leben ist wichtig! Ich erinnere mich selbst an längst verschüttete Ereignisse, stelle mich ihnen in der Darstellung – forme und füge mein Wissen und meine Erfahrung zu einem Lebenswerk. Ich bewältige schreibend mein Leben, ordne die Vergangenheit, um mich der Zukunft erwartungsvoll zu öffnen.
Bleibt noch die Frage nach der Vermessenheit, die eigene Biografie für wichtig zu halten. Die Antwort gibt auch hier JW Goethe: „Wir lieben nur das Individuelle. Daher die große Freude an Vorträgen, Bekenntnissen, Memoiren, Briefen und Anekdoten selbst unbedeutender Menschen. Die Frage, ob einer seine eigene Biografie schreiben dürfe, ist höchst ungeschickt. Ich halte den, der es tut, für den höflichsten aller Menschen. Wenn sich einer nur mitteilt, so ist es ganz einerlei, aus was für Motiven er es tut.“